06.10.2012

Offroad

Zwischenbericht von Mittwoch, 19. September 2012

Es ist erstaunlich wie schnell wir uns an das Dorfleben gewöhnt haben. Der Arbeitsalltag ist für uns selbstverständlich. Die Kinder sprechen uns mit „Profe“ an, freuen sich wenn sie uns sehen, und wir bereiten Ihnen kreativen Unterricht vor. Es tut gut endlich mal nicht die Bank zu drücken sondern vorne zu stehen und sich selbst über kleine Lernerfolge der Schüler zu freuen. Gerade weil ihnen hier immer gepredigt wird wie wichtig Bildung ist; da ist es schön, ein Teil ihres Reifeprozesses zu sein. Die Rolle des Lehrers ist hier ohnehin eine ganz andere. Während man in Deutschland oft darauf bedacht ist den Kindern eine gewisse Selbstständigkeit anzueignen und mitzugeben, sind die Kinder hier immer zweifelnd, ob sie ihre Dinge richtig machen, so wie sie sie machen. Sie zeigen dem Lehrer zum Beispiel ihr Heft um zu fragen ob sie die Überschrift  schön gemacht haben oder die Linie sauber genug gezogen ist. Außerdem habe ich heute mitbekommen, wie eine Lehrerin ihre Klasse gefragt hat, ob alle Eltern gestern zum Treffen für ihre Noten gekommen sind. Natürlich waren nicht alle da, also hat sie den Kindern deutlich eingeredet, dass sie die Eltern überreden sollen ihre Noten zu erfragen, oder selber mit ihnen hingehen sollen. In gewisser Weise sieht man da, wie wichtig die einzelnen Lehrer für die Schüler sind: Sie übernehmen viel Verantwortung für sie und zeigen ihnen, dass selbst wenn die Eltern es nicht wären, die Lehrer in jedem Fall für sie da sind.

Nachmittags haben wir uns soweit ins Dorfleben mit eingebunden, dass wir im Fitnessraum des Colegios Sport treiben, Jugendliche bei uns am Hostel klopfen damit wir ihnen draußen im Park bei den Hausaufgaben helfen und beim Musiklehrer der Schule dreimal die Woche eigenen Gitarrenunterricht bekommen (nach zwei Tagen haben wir schon 6 Akkorde drauf! Adelante!).

Natürlich ist es ein Kontrast zu unseren lebendigen Wochenenden in Sucre. Letztes Wochenende zum Beispiel haben wir uns ein „Penthouse“ (so nennen wir es weil wir diese Dachwohnung für  unsere neuen Ansprüche sehr luxuriös fanden :-) ) für drei Tage gemietet um die Fiesta des 25. Jubiläums der Jungfrau Guadalupe von Sucre zu feiern. Da gab es das ganze Wochenende bunte Umzüge aus Tänzern und Musikern und die ganze Nacht waren die Stände aufgebaut.

                                                          Überfahrt mit der Flota


Dinner im Penthouse


Fiesteros!







    Unser Freund Jorge. Ob ihr's glaubt oder nicht - mit ihm machen wir die Nächte unsicher


Ausblick über Sucre zum Abschied aus dem Penthouse



Die Rückfahrt möchte ich aber auch kurz erwähnen. Wegen der großen Fiesta waren alle Flotatickets für die Rückfahrt auf die Dörfer ausverkauft, lediglich 3 Stehplätze bis zu einem Zwischendorf namens Zudañez konnten wir ergattern. Um 8h Abends dort angekommen haben wir uns an einem Stand etwas zu Essen gekauft und an eine Tankstelle gesetzt, wo die Pick-Ups und Trucks vorbeifahren. Dann hieß es warten und Taten sprechen lassen: Jedes einzelne Fahrzeug (ich wähle hier bewusst das Wort Fahrzeug anstatt Auto ;-) ) haben wir angehalten und gefragt ob es in Richtung unserer Dörfer fährt. Die Stunden vergingen und es war natürlich längst dunkel, also machten wir uns ein Lagerfeuer.
Um 11h Nachts haben wir endlich einen Pick-Up gefunden der in die ungefähre Richtung fuhr – nach Padilla. Wir uns also dort hinten drauf geschwungen und zwischen einem riesigen Benzinfass und Ersatzreifen 2,5 Stunden den Sternenhimmel betrachtet.
In Padilla angekommen hatten wir die nutzlose Idee ein Hostel zu suchen. Als wir alle abgeklappert haben und alles still und dunkel war hatten wir einen ganz kurzen Tiefpunkt, doch dann haben wir einen letzten Nachtbus gesehen der auf der Schotterstraße entlang fährt, auf der nach einer halben Stunde eine fast unsichtbare Abzweigung Richtung unserem Dorf Alcalá auftaucht.
Da waren wir nun – um halb 3h Nachts auf der Schotterstraße und liefen los. Vorbei an Bergen, streunenden Hunden, Kakteen und Schluchten. Als nach zwei Stunden um halb 5 morgens endlich, endlich die Lichter von Alcalá auftauchten waren wir zwar erschöpft aber glücklich. Home, sweet Home. Unseren ersten Minitrip hatten wir geschafft! Auf das noch viele weitere folgen!


Dieses Wochenende verbringen wir das erste Mal „Zuhause“. Da trifft es sich, das 55. Jubiläum vom Municipio Alcalá ist, denn schon heute, am Mittwochabend sind die Dorfbewohner mit Kerzen und Musik umgezogen. Morgen kommt unser Freund aus El Villar übers Wochenende vorbei und auf dem Plan stehen:
Donnerstag: Umzüge und Reden von den Schulen und Instituten in und um Alcalá, Musik, Tänze und jede Menge Chicha (siehe Freitag).
Freitag: Morgens saßen wir am Frühstückstisch und ein paar Leute kommen rein weil sie auf einen Gast aus dem Hostel warten wollten. Wir kommen ins Gespräch und sie laden uns auf einen Trip ein den sie heute erledigen müssen: Zu einer Art „Meeting“ ca. eine Stunde auf dem Pick-Up entfernt in den Bergen. Dort treffen sich Anwohner und Verwalter von bolivianischen Hilfsorganisationen („Pasos“ und „Ayuda en Acción“) weil sie seit 2 Jahren das Projekt realisieren, Wasserleitungen in die Erde zu graben, damit jede Familie Zugriff auf Wasser bekommt und außerdem so ein paar Sachen anbauen kann um Geld verdienen zu können. Es war eine ergreifende Erfahrung, weil eine Anwohnerin vor der gesamten Gruppe gesprochen hat und gesagt hat wie glücklich sie ist endlich schönes Wasser zu haben damit ihre Familie überlebt. Und ob sie nicht in den nächsten zwei Jahren schaffen könnten auch Wasser am Haus ihrer Großmutter entlang zu führen.


                                                                        Los geht's




Das Kongresszentrum ;-)


Resultate des Projekts



Nachmittags haben wir uns noch ein bisschen unter die Menschen gemischt und mit unserem Hostelvater Don Roger die traditionelle „Chicha“ getrunken, ein alkoholisches Getränk, das ursprünglich aus gegorenem Mais hergestellt wird. Man trinkt es mit kleinen Holzschälchen aus einem großen Eimer, und jedes Mal bevor man selbst trinkt muss man jemand anderes einladen („Te invito“) und einen Schluck als Dank auf die Erde gießen („Pachamama“). Dann trinkt man, füllt das Schälchen wieder auf und gibt es demjenigen den man eingeladen hatte. Das kann ewig so weitergehen ;-)

                                                                   Trio Infernale :


Fackelumzug in Alcalá


                                                                Que viva la tradición!





Samstag: Morgens haben wir unsere sieben Sachen gepackt (Sternenkarte, Taschenlampe, Streichhölzer, Stockbrot-Teig, Machete, Schlafsack und Wasser) und wollten auf die Bergkette wandern und eine schöne Stelle suchen wo wir zelten können. Das war unser erster Survivaltrip. Wir hatten irgendwann so einen Hunger, dass wir ernsthafte Mordgedanken bei jedem Tier bekommen haben, das uns entgegengekommen ist. Außerdem haben sich die Jungs voll ausgelebt: Stundenlang haben sie Steine und Feuerholz rangeschleppt um uns neben unserem Zelt ein Basecamp zu bauen. Am nächsten Morgen haben sie sogar Kaffeepulver für den Wassertopf über unserem Feuer gehabt. Das hat den Hunger ein für alle Mal entschädigt!



Unser HI Hostel ;-)






Dinner


  Der Rückweg, Gott sei Dank nur von hinten, denn nach der Nacht waren wir gut verwildert.


Soweit der erste Monat im Herzen Südamerikas. Jetzt sind es nur noch 11.
Es ist immer noch 32° im Schatten und jeden Tag passiert irgendetwas Unerwartetes, sei es nur eine Kleinigkeit, wie zum Beispiel, dass mein Lehrer mich irgendwo auf dem Weg mit seinem Crossbike aufgabelt und mich den Rest der fast senkrechten Felsen mitnimmt (keine Ahnung wie wir geschafft haben nicht hinzufallen) oder das in der Pension, in der wir im Moment Mittagessen bekommen, einfach ein totes, halb gehäutetes Schwein auf der Bank liegt (wahrscheinlich für das Festival am Wochenende). Und mir geht es immer noch sehr, sehr gut.




Zwischenbericht von Montag, 01. Oktober 2012

Ich möchte von letztem Dienstag erzählen. Da wurde in der Außenschule Mulacancha der „Tag des Schülers“ (21. September) nachgefeiert. Leider hatte ich an dem Tag keine Kamera dabei, obwohl wirklich tolle Bilder entstanden wären! Das Amt von Alcalá hat dafür extra 4 Hühnchen und Kekse gespendet. Kartoffeln sollten die Kinder, deren Eltern in den Bergen anbauen, selbst mitbringen. Ich habe meiner Lehrerin den ganzen Vormittag beim Kochen geholfen während die Kinder draußen gespielt haben oder im anderen Klassenraum Unterricht hatten.
Für die große Pause haben wir ihnen in einem großen Topf über dem Feuer Milchpulver und Kakao zum kochen gebracht und dazu gab es die gespendeten Kekse. Leider habe ich dort auch zum ersten Mal mitbekommen wie ein Mädchen mit einem Bambusstock gehauen wurde, weil sie mit anderen Kindern Töpfe an den Fluss gebracht haben. Wie dem auch sei – für das Mittagessen haben wir die Hühnchen geschnitten (10 Teile soll man aus jedem Hühnchen bekommen, wenn man gut schneidet), mit Senf, Orangensaft und Salz eingerieben, im Lehmofen auf dem Hof gebacken und Kartoffeln gekocht. Eine Mutter hat zwischen zwei großen Steinen frische Chilischoten zu einer Soße gehackt. Wir hatten Spaß zusammen und die Lehrerin war froh, dass wir so etwas Gutes für die Kinder kochen konnten, „damit sie wenigstens heute mal was Richtiges essen können“. Zum Abschluss hat die Kindergärtnerin ihnen noch eine kleine Ansprache gehalten – dass Gott sie alle segnen soll, sie weiter fleißig in die Schule kommen sollen und sie alle geliebt werden.

Vergangenes Wochenende haben wir einen Ausflug nach Sopachuy gemacht – eine Stadt, von der wir gehört haben, dass dort zwei Flüsse zusammenfließen in denen es wirklich Wasser gibt (hier bei uns sind sie völlig ausgetrocknet). Weil wir aber seit Tagen kein Geld mehr haben und erst am Wochenende nach Sucre fahren um etwas abzuheben mussten wir gucken wie wir den Trip mit 20 Bolis (ca. 2€) meistern.
Es lief aber alles wie am Schnürchen: Innerhalb von nur 3 Stunden sind wir mit insgesamt 3 Pick-Ups und ca. 40 Minuten Laufzeit in Sopachuy an den Flüssen angekommen. Im Dickicht haben wir das Zelt aufgebaut, ein bisschen flussabwärts hatten wir unseren eigenen „Strand“ wo wir schwimmen konnten und wenn man sich umgeschaut hat, hätte man glatt denken können wir sind schon im Amazonasgebiet: steile Klippen die am Flussufer dicht bewachsen sind, viel mehr Blumen als bei uns in den Bergen und riesige Insekten.
Als wir uns Abendessen suchen wollten, sind wir hoch ins Dorf und haben für insgesamt nur 11 Bolis ein Kilo Kartoffeln und etwas Käse gekauft. Möhren hatten wir noch als Proviant dabei. Am Zelt haben wir alles über dem Feuer gekocht und waren noch am Morgen so satt, dass wir uns zum Frühstück nur ein paar Mandarinen gepflückt haben.


So lässt sich das Wochenende leben!




"Es gibt frisches Brot."







Sonntag, als wir auf dem Weg durchs Dorf zur Straße waren um unseren Rückweg anzutreten, wurden wir aufgehalten: Irgendein Institut von Sopachuy hatte Jubiläum, also wurde auf der Plaza laut Musik gespielt, Chicha aus riesigen Fässern getrunken, gefeiert und sogar zum Mittagessen wurden wir noch eingeladen. Ende Oktober, haben sie uns gesagt, sollen wir wiederkommen, da ist das große Stadtfest. Nachmittags konnten wir dann endlich los und wie es unser Glück so wollte sind wir noch vor Sonnenuntergang nach Alcalá eingefahren.

Und heute, pünktlich zum 1. Oktober, gab es den ersten Regen in Alcalá. Tagsüber war es 35° aber nachmittags sind pechschwarze Wolken aufgezogen und abends gab es Hagelkörner die so groß waren wie Tennisbälle. Innerhalb von 10 Minuten waren alle Straßen vollgelaufen und man konnte nur noch barfuß durchs knöcheltiefe Eiswasser laufen. Trotzdem war es toll den ersten Monsunregen zu erleben. Witzig war auch unser Irrtum den Donner zu hören. Wir dachten uns, er hört sich etwas zu mickrig an für so ein Riesengewitter; später haben wir jedoch rausgefunden, dass es Feuerwerkskörper waren, die hochgeschossen werden, um die Atmosphäre aufzureißen damit der Regen aufhört.

Ich schicke warme Grüße nach Deutschland! Auf bald,


que seamos imparables!

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