08.09.2012

„Jeder Mensch hat einen Grund, dort zu sein, wo er gerade ist“

Dienstag, 04. September 2012 - Ein Tag wie aus einer anderen Welt; 
ein Ort, an dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint

Gestern noch haben wir es uns richtig gemütlich gemacht: Wir wollten eine kleine Abschiedsrunde für unsere Nathalie machen, die die Woche über immer in Limabamba, ein mit dem Bus eine Stunde entferntes Außendorf mit Schule wohnen und unterrichten wird und nur an manchen Wochenenden zurück nach Alcalá kommt. Also sind die Mädchen bei Einbruch der Dunkelheit um halb 7 nochmal raus, Kekse kaufen gegangen, während Simon und ich versucht haben den DVD – Player vom Hostel in Gang zu bringen. Nach einer äußerst witzigen Runde haben wir Nathalie um halb 10 in die Flota gesetzt und mit weißen Taschentüchern Adieu gewunken ;-).



Aber schon am nächsten Tag sollte ich das erste Mal in meine mittelalterliche Außenschule Mulacancha:

Um halb 8 gehe ich auf die Plaza um den Señor zu finden, der heute morgen zur Außenschule Mulacancha fährt. Ich schwinge mich auf einen weißen verrosteten Pickup und wir gabeln noch eine Cholita-Frau auf, die einen Sack Mais hoch zur Schule bringen soll. So geht es los, über Stock und Stein, am Wegesrand wartende Kinder einsammelnd und auf dem Weg stehende, noch schläfrige Esel wachhupend. Wir fliegen über die felsigen, ausgetrockneten Flussbetten, vorbei an Agaven-Kakteen, die so groß sind wie ich selbst und Bäume, die so aussehen wie Bäume auf Fotos aus Afrika. 

Nach 10 Minuten sind wir schon da. Die neuen Kinder, die sich direkt an mich gekuschelt haben, springen raus und ich helfe der Cholita ihren Maissack zur Schule zu tragen. Ich schaue mich um: Wir stehen auf einem Hügel, umringt von den massigen aber schönen Andenbergen, der Wind peitscht uns den Sand ins Gesicht. Vor mir ist eine freie Fläche mit zwei „Fussballtoren“, hinter mir sind mehrere kleine Gebäude. Eine Hütte, in der sich die 2 Lehrer und die Kindergärtnerin morgens treffen, ein Gewächshaus und 3 Hütten für die knapp 30 Kinder (Ein Raum für den Kindergarten, einer für die 1. und 2. Klasse, und einer für die 3., 4. und 5. Klasse).

Ich gehe in die 1.-2. Klasse, helfe der Lehrerin mit den Schülern eine Stunde Spanisch-Lesen zu üben (denn in den meisten Häusern in den Bergen wird nur Quechua gesprochen!) und danach die Zahlen von 100 bis 150 aufzuschreiben und einige auch auszuschreiben. Und weil das viel Arbeit ist, werden ihre Bleistifte immer wieder mit einem Messer angespitzt. Um 12 gibt es Mittagsessen für die Kinder: In einem Metallkessel wurde eine Art flüssigen Milchreis, direkt über dem Feuer zubereitet, der ein wenig nach Erde schmeckt, weil der Wind heute so stark war. Aber das stört niemanden, denn Milchreis ist hier oben ein Leibgericht! 

Nach dem Essen müssen die Kinder ihr Geschirr selber abwaschen. Und während sie sich all in einer Reihe vor den einzigen Wasserhahn auf dem Hof aufstellen, kommt die Kindergärtnerin zu mir und zeigt mir ihr selbst gedrehtes Garn auf ihrer Spindel, die sie immer bei sich trägt, und ihre selbst geflochtenen Armbänder, von denen sie mir zwei umbindet.

Nachmittags dürfen die Kinder, die ihre Aufgaben vorher erledigt haben, draußen auf den Hügeln bleiben, ich gehe jedoch mit der Lehrerin wieder in den Raum und wir teilen uns auf die „schwächeren“ Schüler auf, müssen mit ihnen Spanisch schreiben üben und das ABC wiederholen. 
Ein Mädchen, das immerzu Nähe sucht, erzählt mir sie habe mich so lieb dass sie mir für meinen Geburtstag was kochen möchte. Sie ist 8 Jahre alt, heißt María Nayeli und ich frage sie warum sie in dem Alter schon kochen kann. Einmal, erzählt sie mir, ist ihre Oma in irgendeinem Nebendorf krank geworden und ihre Mutter war für ein paar Tage weg, sodass sie für sich selber sorgen musste. Da hat sie dann kochen gelernt. Jetzt ist ihre Mutter aber wieder da, erzählt sie stolz weiter, und wird morgen ein Examen in ihrem „Alphabetisierungskurs“ machen.

Um 14h lege ich mir mein ahuayo – Tuch auf den Kopf gegen die glühende Sonne und mache mich auf den Weg, die einzige Schotterstraße die man immer weiter, an 2 Bergen entlang, gehen muss, um Alcalá wieder zu finden. Und während ich in Gedanken die Hügel hoch und runter laufe, merke ich, dass ich schon wieder nur auf Spanisch denke :-)
Auf halber Strecke finde ich eine winzige Kapelle unter ein paar riesigen „Avatar“ – Bäumen. Und weil mir danach ist, spreche ein kurzes Gebet für meine Familie (Ja, ich denke sehr oft an euch!), gehe ein Stück weiter und bin plötzlich wieder von ein paar Kindern umringt, die irgendwo aus dem Nirgendwo kamen und mich ein Stück begleiten möchten.



Samstag, 08. September 2012 – Sucre again!

Heute rufen wir unseren bolivianischen, in die goldenen Jahre gekommenen Freund Jorge an, weil er uns beim letzten Abschied eingeladen hat, ihn zu besuchen um etwas mit ihm zu trinken und Musik zu hören. Ach, lustige Geschichte, wie wir ihn kennengelernt haben, das erzähl ich doch gleich mal: 

Es war an unserem ersten Wochenende in Sucre, meine Freunde Simon, Hagen und ich sind vormittags wie immer los zum Mercado Central um zu beobachten, zu erkunden und zu schlendern. Irgendwann haben wir eine Wechselstube gesucht, weil ich noch etwas Geld für das Leben auf dem Dorf mitnehmen wollte. Da uns die Kurse in den „offiziellen“ Wechselstuben (in echten Häusern) aber zu niedrig waren, sind wie zu den Straßenständen gegangen. Gleich der erste sagte uns: „Geht ruhig die ganze Straße entlang und fragt rum, aber ich hab eh den besten Kurs!“ – Wir glaubten ihm natürlich nicht, zogen los und er behielt recht – Nach einer Viertelstunde standen wir wieder grinsend vor ihm, er tauschte mir Geld und fing an zu erzählen: Er heißt Jorge und will unheimlich viel über unser Leben wissen, und wir sollen auch Fragen über Bolivien stellen. 

In seinem Heftchen wo er den Geldtausch notiert hatte er sogar ein paar deutsche Zeilen geschrieben die er uns stolz vorlas. Da fast Mittagszeit war lud er uns ein in den einheimischen Markt zu gehen und mit ihm Mittag zu essen. Als wir am Tisch saßen fiel ihm ein, dass man in der Schweiz auch deutsch spricht und er einen Freund hat der Schweizer ist. Er zückte sein Handy, wählte seine Nummer, reichte sein Handy Hagen, damit er ein wenig mit ihm auf Deutsch quatschen konnte. Nach dem Essen zeigte er uns die besten Läden wo wir Alpaka – Pullis herbekommen konnten und ließen uns noch ein bisschen von den Menschen um uns herum treiben. Mit unserem persönlichen Geldwechsler im Markt Mittag essen - So lernten wir Jorge kennen ;-)


Weitere Geschichten folgen bald.

que seamos imparables!



                                                         Momente aus dem Spieleraum







                                                         
                                                         Bilder aus Mulacancha:

                                                    Die kleine Kapelle in den Bergen


                                                                     Der Schulweg


                                                                          Mulacancha












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