27.11.2012

20 Jahre jung, draußen zuhause, völlig frei und rastlos, irgendwo in Südamerika, mit der Sonne im Rücken und Freunden zum Pferde stehlen


„Stellt euch ordentlich hin!“, ruft die Lehrerin Luisa den knapp 30 Kindern zu, die sich um ihren Stuhl und die vielen Schüsseln tummeln, die nun gefüllt werden sollen. 
„Zuerst singt ihr“, und auf ihr Kommando erklingt der schiefe, laute Chor von meinen Kids in Mulacancha.

„Cumpleaños feliz, te deseamos a tí…“, während rechts im Lehmofen in Limonen und Senf eingelegtes Hühnchen brutzelt und ich von links von der Kindergärtnerin Rosenda mit Konfetti berieselt werde. Dann werde ich von 60 zierlichen Kinderarmen auf einmal umarmt und mit feuchten Küsschen beladen. So habe ich noch nicht Geburtstag gefeiert – denn obwohl ich in der Nacht vorher einige jugendliche Alcaleños und natürlich unsere Hostelfamilie auf ein paar selbstgemixte Drinks eingeladen hatte, ist dieser Tag mindestens genauso schön.
Die Kinder essen sich am Hühnchen, den Reis und den Kartoffeln satt und die Lehrer unterhalten sich bei einen guten Holzschale Chicha mit uns über Weihnachten. Und ich meine das Weihnachten bei 30°, mit Panflötenmusik und federgeschmückten Straßentänzern. Natürlich. 

Mittags werden wir von ein paar Mädchen begleitet, die ihren Weg durch die Berge gehen müssen. „Bleibt stehen, hier wächst Yakon-Yakon“, und da hat sich Ana-María schon auf den Boden gekniet und haut mit einem Stein auf einen Stock, als wäre es ein Meißel, mitten auf einer Rasenfläche. Was sie schon wieder treibt, fragen wir sie, und sie zeigt uns einen Grashalm der ausnahmsweise zwei anstatt nur einen Halm hat. „Das ist Yakon-Yakon. Man holt das Gras raus und unten dran sind Mini-Kartoffeln“, und tatsächlich, als sie den Grashalm rauszieht, zum Fluss läuft um ihn abzuwaschen, hängen zwei kleine Bohnen am Grashalm, sie so schmecken wie Sojasprossen.


Turning 20









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Mit einem lauten KNALL werde ich aus dem dösenden Zustand gerissen, in dem ich mich in der viel zu warmen, dunklen Flota befunden habe. Ein Reifen ist geplatzt.
„Wir wussten es doch gleich, wir haben auch viel zu viel Gepäck geladen“ rufen unsere Mitfahrer in einer Mischung aus Quechua und Spanisch. Im Bus sind fast nur J’alqa-Leute, die aus den Dörfern in den Bergen um Sucre herum kommen, in die wir gerade unterwegs sind. Kleine Bergdörfer, die ihre Kartoffeln und Mais selber anbauen weil es so selten Flotas dorthin gibt.
„Ach das haben wir gleich“, sagt der Fahrer und hebt den riesigen, rostigen Bus mit einer Hebebühne an. Ersatzreifen und Schraubstock sind natürlich an jeder Flota am Start, nur für den Fall von letzter Woche, als wir den Bus aus einer Schlammpfütze schieben mussten, sind die Dinge nutzlos. 

Wir fahren also bald weiter, steigen in pechschwarzer Nacht aus und schlagen unser Lager auf. Mit dem ersten Hahnenkrähen und Blick in den gleißend weißen Himmel fällt uns auf: Wir haben an einem Hauptverkehrspunkt gezeltet: An uns ziehen Cholita-Mütter mit ihren Kindern vorbei und Bauern, die ihre Stiere und den Pflug im Schlepptau haben. Schnell packen wir zusammen und machen uns auf den Weg, die Sonne im Rücken, die nach und nach auch die höchste Bergspitze berührt, kommen wir vorbei an Schluchten mit türkisen oder roten Flüssen, und Erdschichten in den Bergen, die aussehen als hätte jemand mit Wasserfarben darüber gepinselt.

Nach ingesamt 9 Stunden, inklusive Klettereinlage über steile Felsen, weil ein Weg eingestürzt ist, kommen wir pünktlich zu einem richtigen Monsunregen in unserem Zieldorf des Ausflugs an, Potolo. Eine sehr alte, sehr süße Dame findet uns und lädt uns zu sich in den Garten ein, wo überdacht ein Feuer an ist über dem wir unsere Sachen kochen dürfen. Und der Schlafplatz ist auch schnell gefunden: In einem Rohbau an der Straße legen wir uns in unsere Schlafsäcke, als plötzlich der Besitzer reinkommt, durch das Zimmer nach hinten auf den Hof geht und sagt „Oh, wo seid ihr denn her? Schlaft bloß gut, aber tut mir Leid, hier tropft es rein!“. Kein Problem, sagen wir, und erzählen ihm dass es in Deutschland grade schlimmer wäre. „Dann schickt uns bitte Regen hierher, wenn ihr zurückkehrt. Sonst streiten sich die Menschen wieder zuviel um das Wasser.“



3 Monate sind um, 3 Monate in unserem Bolivien, das wir mittlerweile wie unsere Westentasche kennen und doch noch überhaupt nichts gesehen haben. Mit der Aussicht auf ein interessantes Seminar Anfang Dezember und unseren Beginn in die Sommerferien danach bis Februar – und damit unsere Reisezeit – schließe ich diesen Bericht. Und auch damit, dass mir mittlerweile viele Menschen ziemlich fehlen.

que seamos imparables!
 














Ein Weggefährte :







Viva La Vida


Feiertage um Todos Santos






Wochenendausflug nach Monteagudo


  
Einmal ganz unter freiem Himmel schlafen musste auch mal sein :-))









27.10.2012

Shortcuts

Überraschungen am Morgen: 

Wir haben immer wieder interessante Gäste am Frühstückstisch sitzen. So waren zum Beispiel einmal 2 Männer da, die für die Regierung arbeiten und in den ländlichen Gebieten Häuser bauen lassen. Die Regierung finanziert für Alcalá inklusive Berge drum rum insgesamt 90 Häuser bis zum Ende des Jahres.
Das andere Mal waren Arbeiter vom Telekommunikationsriesen ENTEL (unser Handy und Internetnetz) hier, und haben uns die Hiobsbotschaft eröffnet, dass bis Ende November doch tatsächlich ein „Internetcafé“ im Dorf entstehen soll. Alcalá bekommt Internet, adelante!!!


Alcalá:

Für mich, die in Deutschland aufgewachsen ist, begeistert mich immer wieder das Heimatgefühl der Länder, die ich bereise. So viele Menschen sind so patriotisch und diese Eigenschaft wird auch an jeder Gelegenheit zelebriert: Jeden Montag wird in allen Schulen eine kleine Ansprache gehalten und die bolivianische Hymne gesungen, an Häusern hier sind Alcalá-Sprüche gesprayt und wir haben sogar eine eigene kleine Dorf-Hymne.
Letztens im Unterricht habe ich den Kids das Thema „Früchte“ auf Englisch näher gebracht. Sie sollten die 12 Früchte, die ich ihnen beibringen wollte, malen, kamen aber schon bei einheimischen Früchten wie der Ananas oder der Wassermelone ins stocken, weil sie diese hier im Dorf noch nie gesehen haben. Ich habe sie ihnen angemalt und versprochen ihnen bald echte Früchte aus Sucre zu bringen.
Außerdem ist mir in der Außenschule Mulacancha aufgefallen wie robust die Kinder sind. Weil sie schon in frühesten Jahren mit Metall- und Schreinerarbeiten vertraut gemacht werden, ihre Stifte mit scharfen Cuttermessern anspitzen und nur mit Flip-Flops durch die steinigen Berge zur Schule laufen, werden auch nur ein paar Tränchen verdrückt wenn sie, wie zum Beispiel letzte Woche ein kleines Mädchen, in einen Nagel im Brett treten.


Ressourcen:

Vor einiger Zeit hatten wir ein paar Tage Wasserknappheit in Alcalá. Morgens um 6 wurde das Wasser angestellt und 4 Stunden später für den ganzen Tag abgestellt um Wasser zu sparen. Das war zwar eine Erfahrung, aber nicht weiter schlimm da wir genug große Eimer hatten, wo wir ein wenig gebunkert haben ;-)
Da die Regenzeit nun nach und nach losgeht haben wir nun öfter mal heftige Gewitter mit Blitz, Donner und Hagelschlag. Da kommt es nicht selten vor, dass es schon nachmittags düsterer wird und es zum Einbruch der Dunkelheit schon keinen Strom mehr gibt. Wenn es dann Stromausfall gibt, weiß niemand wie lang er andauert, weil wir warten müssen bis in Sucre wieder alles für unser Dorf hergestellt wird.


Vom Wochenende: 

Donnerstag, am 11.10., sind wir nach Sucre gefahren, weil die Lehrer Freitag frei hatten um ihr Gehalt abzuholen. Eine Nacht in der großen Stadt – WLAN, Marktstände, Säfte aus allen Früchten mixen, die man sich nur wünschen kann, unsere bolivianischen Freunde Mirian und Jorge und und und..

Leider bin ich noch in derselben Nacht ziemlich krank geworden, und das, obwohl für den nächsten Tag die große Überfahrt nach „Tarija“ auf unserem mentalen Plan stand, eine große Stadt ganz im Süden an der argentinischen Grenze. Jedenfalls wollten wir uns den Ausflug trotzdem durch sowas nicht nehmen lassen und haben es schließlich trotzdem gepackt: Die 14-stündige Nachtüberfahrt lief über Potosí, einer Stadt auf 4000m Höhe, wo die Fenster von der Eiseskälte draußen ganz beschlagen waren und dann wieder ein ganzes Stück runter, Richtung Flachland und Tarija, das auf knapp 1500m Höhe liegt. Es hat sich gelohnt: Der Besuch in der Stadt Tarija hat sich wie ein weiteres Puzzleteil zu den anderen gefügt, die unseren Eindruck von Bolivien vervollständigen.

"Wie das chinesische Ying und Yang, das Gegensätze symbolisiert, die trotzdem Eins sein können."
Während unser Leben in Alcalá, Sucre und Umgebung uns schon viele Eindrücke beschert, wie die indigen geprägte Lebensweise aussieht, so scheinen diese Traditionen in Tarija in den Hintergrund geraten zu sein. Es hat sich eine andere Kultur entwickelt, die stark durch die Nähe der Stadt zum reicheren Argentinien beeinflusst wurde. Es sind Kleinigkeiten, die uns gezeigt haben, dass das Denken hier sich in die westliche Richtung orientiert. 
So haben wir dort Reggaeton-Music anstatt der indianischen Panflötenklänge gehört; auf der Straße trugen die Bewohner fast dieselbe Kleidung wie unsere;  von den eindrucksvollen, robusten Gesichtern, wie die Menschen sie hier bei uns auf dem Land haben, sieht man nur noch wenige (man sieht mehr „Spanien“ in den Tarijeños); wir haben in einem richtigen Eiscafé echtes Eis essen können; es gibt mehrere hohe Häuser und Geschäfte, die auf großen Konsum schließen lassen und wir haben an einer Kirche eine Hochzeit beobachten können: Genau wie in Deutschland  stieg die weiße Braut aus dem Wagen und ließ sich von ihrem Vater zum Hochzeitsmarsch an den Altar führen.

Nach diesen Beobachtungen fassten wir unausgesprochen einen Entschluss: Genau wie die Stadt so viele Gegensätzlichkeiten zu dem Leben aufweist, das wir hier aus Alcalá kennen, so werden auch wir das Wochenende anders verbringen. Anstatt unser Zelt aufzuschlagen haben wir uns morgens nach unserer Ankunft ein schönes Zimmer direkt im Centro gesucht und sind tagsüber schwimmen gegangen (ein bisschen außerhalb der Stadt gibt es eine kleine Stelle an der auch bolivianische Touristen baden gehen. Die Mädchen natürlich nur mit Kleidung, aber erfrischend war es in der orangenen, glühenden Mittagshitze trotzdem). Abends sind wir in einem sehr edlen Restaurant essen gegangen, wie es so gar nicht unsere sonstige Art ist. Mit Blick auf die von tausenden Blumen verzierte Plaza; mit Kronleuchtern an der Decke; Ölgemälden an der Wand; einer riesigen Kaffeemaschine und einem Kellner, der unsere Roséflasche sogar mit einer gefalteten Serviette auf seinem Unterarm serviert hat. Sehr dekadent! Aber wie auch immer sich das anhört, umgerechnet hat das teuerste Hauptgericht trotzdem nur 6€ gekostet. Am Nebentisch haben sich argentinische, „gebotoxte“ Frauen einen Ladiesnight gegönnt: Sie haben sich große Cocktails und Pizza bestellt und Tratsch ausgetauscht. Nachts sind wir noch ein wenig durch die hell erleuchtete Stadt spaziert uns haben das nächtliche Publikum beobachtet.  


Ein paar Vorhaben: 

Da mir die Arbeit mit den Kindern immer wieder die Augen öffnet und mir immer noch Spaß macht, versuche ich öfter mal ein paar Kleinigkeiten zu organisieren. Wir haben Papier zum Malen aus Sucre schicken lassen, ein anderes Mal habe ich neue Bleistifte für meine Außenschule Mulacancha gekauft. Außerdem sind die Kinder immer sehr interessiert wenn man Bücher mit echten Fotografien von seltenen Tieren oder anderen Kulturen zeigen kann, also baue ich diese so gut es geht in den Unterricht mit ein. 
 
Leider haben sich einige andere Projektvorhaben nicht in die Tat umsetzen lassen. 

So hatte uns zum Beispiel einmal die Kindergärtnerin aus Mulacancha gefragt, ob wir rausfinden könnten wie viel es kosten würde eine kleine Hütte näher am Schotterweg bauen zu lassen. Ihre Hütte liegt sehr weit außerhalb der Schule und ihr Mann kann nur selten Geld verdienen weil er alt und krank ist. Die Ingenieure in Alcalá haben es mir ausgerechnet, aber die Summe hätte unser Budget gesprengt.

Ein anderes Mal wollten wir ein „Gesund-Kochen“-Projekt, auch oben im Mulacancha, in die Gänge bringen. Die beiden Tage die ich dort arbeite gibt es nämlich nur den mit Mehl gestreckten Milchreis und mein Kollege Simon und ich hätten da schon ein paar Ideen gehabt wie wir einfache aber nahrhaftere Gerichte hätten zubereiten können. Unser Hostel-Don war jedoch nicht so begeistert: er sagte, dass die Kinder oben die anderen Tage gutes Essen bekommen (Reis, Linsen und Kartoffeln), weil immer abwechselnd Mütter kommen die für die ganze Schule kochen. Und da ihr Essen genauso gut sei, wie in der Grundschule im Mitteldorf, sei es völlig ausreichend.
Also werden wir uns ab und an zu besonderen Anlässen etwas einfallen lassen. Für meinen Geburtstag Mitte November werden wir ein paar Hühner mit hoch nehmen und sie wieder im Lehmofen zubereiten. 


IMPRESSIONEN 

Auf dem Weg zum Stadtfest im Nebendorf El Villar:








Bilder aus Tarija:










Weltuntergangsbild:





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