Überraschungen am Morgen:
Wir haben immer wieder interessante Gäste am Frühstückstisch
sitzen. So waren zum Beispiel einmal 2 Männer da, die für die Regierung
arbeiten und in den ländlichen Gebieten Häuser bauen lassen. Die Regierung
finanziert für Alcalá inklusive Berge drum rum insgesamt 90 Häuser bis zum Ende
des Jahres.
Das andere Mal waren Arbeiter vom Telekommunikationsriesen
ENTEL (unser Handy und Internetnetz) hier, und haben uns die Hiobsbotschaft
eröffnet, dass bis Ende November doch tatsächlich ein „Internetcafé“ im Dorf
entstehen soll. Alcalá bekommt Internet, adelante!!!
Alcalá:
Für mich, die in Deutschland aufgewachsen ist, begeistert
mich immer wieder das Heimatgefühl der Länder, die ich bereise. So viele
Menschen sind so patriotisch und diese Eigenschaft wird auch an jeder
Gelegenheit zelebriert: Jeden Montag wird in allen Schulen eine kleine
Ansprache gehalten und die bolivianische Hymne gesungen, an Häusern hier sind
Alcalá-Sprüche gesprayt und wir haben sogar eine eigene kleine Dorf-Hymne.
Letztens im Unterricht habe ich den Kids das Thema „Früchte“
auf Englisch näher gebracht. Sie sollten die 12 Früchte, die ich ihnen
beibringen wollte, malen, kamen aber schon bei einheimischen Früchten wie der
Ananas oder der Wassermelone ins stocken, weil sie diese hier im Dorf noch nie
gesehen haben. Ich habe sie ihnen angemalt und versprochen ihnen bald echte
Früchte aus Sucre zu bringen.
Außerdem ist mir in der Außenschule Mulacancha aufgefallen
wie robust die Kinder sind. Weil sie schon in frühesten Jahren mit Metall- und
Schreinerarbeiten vertraut gemacht werden, ihre Stifte mit scharfen
Cuttermessern anspitzen und nur mit Flip-Flops durch die steinigen Berge zur
Schule laufen, werden auch nur ein paar Tränchen verdrückt wenn sie, wie zum
Beispiel letzte Woche ein kleines Mädchen, in einen Nagel im Brett treten.
Ressourcen:
Vor einiger Zeit hatten wir ein paar Tage Wasserknappheit in
Alcalá. Morgens um 6 wurde das Wasser angestellt und 4 Stunden später für den
ganzen Tag abgestellt um Wasser zu sparen. Das war zwar eine Erfahrung, aber
nicht weiter schlimm da wir genug große Eimer hatten, wo wir ein wenig
gebunkert haben ;-)
Da die Regenzeit nun nach und nach losgeht haben wir nun
öfter mal heftige Gewitter mit Blitz, Donner und Hagelschlag. Da kommt es nicht
selten vor, dass es schon nachmittags düsterer wird und es zum Einbruch der
Dunkelheit schon keinen Strom mehr gibt. Wenn es dann Stromausfall gibt, weiß
niemand wie lang er andauert, weil wir warten müssen bis in Sucre wieder alles
für unser Dorf hergestellt wird.
Vom Wochenende:
Donnerstag, am 11.10., sind wir nach Sucre gefahren, weil
die Lehrer Freitag frei hatten um ihr Gehalt abzuholen. Eine Nacht in der großen
Stadt – WLAN, Marktstände, Säfte aus allen Früchten mixen, die man sich nur
wünschen kann, unsere bolivianischen Freunde Mirian und Jorge und und und..
Leider bin ich noch in derselben Nacht ziemlich krank
geworden, und das, obwohl für den nächsten Tag die große Überfahrt nach
„Tarija“ auf unserem mentalen Plan stand, eine große Stadt ganz im Süden an der
argentinischen Grenze. Jedenfalls wollten wir uns den Ausflug trotzdem durch
sowas nicht nehmen lassen und haben es schließlich trotzdem gepackt: Die
14-stündige Nachtüberfahrt lief über Potosí, einer Stadt auf 4000m Höhe, wo die
Fenster von der Eiseskälte draußen ganz beschlagen waren und dann wieder ein
ganzes Stück runter, Richtung Flachland und Tarija, das auf knapp 1500m Höhe
liegt. Es hat sich gelohnt: Der Besuch in der Stadt Tarija hat sich wie ein
weiteres Puzzleteil zu den anderen gefügt, die unseren Eindruck von Bolivien
vervollständigen.
"Wie das chinesische Ying und Yang, das Gegensätze
symbolisiert, die trotzdem Eins sein können."
Während unser Leben in Alcalá, Sucre und Umgebung uns schon
viele Eindrücke beschert, wie die indigen geprägte Lebensweise aussieht, so
scheinen diese Traditionen in Tarija in den Hintergrund geraten zu sein. Es hat
sich eine andere Kultur entwickelt, die stark durch die Nähe der Stadt zum
reicheren Argentinien beeinflusst wurde. Es sind Kleinigkeiten, die uns gezeigt
haben, dass das Denken hier sich in die westliche Richtung orientiert.
So haben
wir dort Reggaeton-Music anstatt der indianischen Panflötenklänge gehört; auf
der Straße trugen die Bewohner fast dieselbe Kleidung wie unsere; von den eindrucksvollen, robusten Gesichtern,
wie die Menschen sie hier bei uns auf dem Land haben, sieht man nur noch wenige
(man sieht mehr „Spanien“ in den Tarijeños); wir haben in einem richtigen
Eiscafé echtes Eis essen können; es gibt mehrere hohe Häuser und Geschäfte, die
auf großen Konsum schließen lassen und wir haben an einer Kirche eine Hochzeit
beobachten können: Genau wie in Deutschland
stieg die weiße Braut aus dem Wagen und ließ sich von ihrem Vater zum
Hochzeitsmarsch an den Altar führen.
Nach diesen Beobachtungen fassten wir unausgesprochen einen
Entschluss: Genau wie die Stadt so viele Gegensätzlichkeiten zu dem Leben
aufweist, das wir hier aus Alcalá kennen, so werden auch wir das Wochenende
anders verbringen. Anstatt unser Zelt aufzuschlagen haben wir uns morgens nach
unserer Ankunft ein schönes Zimmer direkt im Centro gesucht und sind tagsüber
schwimmen gegangen (ein bisschen außerhalb der Stadt gibt es eine kleine Stelle
an der auch bolivianische Touristen baden gehen. Die Mädchen natürlich nur mit
Kleidung, aber erfrischend war es in der orangenen, glühenden Mittagshitze
trotzdem). Abends sind wir in einem sehr edlen Restaurant essen gegangen, wie
es so gar nicht unsere sonstige Art ist. Mit Blick auf die von tausenden Blumen
verzierte Plaza; mit Kronleuchtern an der Decke; Ölgemälden an der Wand; einer
riesigen Kaffeemaschine und einem Kellner, der unsere Roséflasche sogar mit
einer gefalteten Serviette auf seinem Unterarm serviert hat. Sehr dekadent!
Aber wie auch immer sich das anhört, umgerechnet hat das teuerste Hauptgericht
trotzdem nur 6€ gekostet. Am Nebentisch haben sich argentinische, „gebotoxte“
Frauen einen Ladiesnight gegönnt: Sie haben sich große Cocktails und Pizza
bestellt und Tratsch ausgetauscht. Nachts sind wir noch ein wenig durch die
hell erleuchtete Stadt spaziert uns haben das nächtliche Publikum beobachtet.
Ein paar Vorhaben:
Da mir die Arbeit mit den Kindern immer wieder die Augen
öffnet und mir immer noch Spaß macht, versuche ich öfter mal ein paar
Kleinigkeiten zu organisieren. Wir haben Papier zum Malen aus Sucre schicken
lassen, ein anderes Mal habe ich neue Bleistifte für meine Außenschule
Mulacancha gekauft. Außerdem sind die Kinder immer sehr interessiert wenn man
Bücher mit echten Fotografien von seltenen Tieren oder anderen Kulturen zeigen
kann, also baue ich diese so gut es geht in den Unterricht mit ein.
Leider haben sich einige andere Projektvorhaben nicht in die
Tat umsetzen lassen.
So hatte uns zum Beispiel einmal die Kindergärtnerin aus
Mulacancha gefragt, ob wir rausfinden könnten wie viel es kosten würde eine
kleine Hütte näher am Schotterweg bauen zu lassen. Ihre Hütte liegt sehr weit
außerhalb der Schule und ihr Mann kann nur selten Geld verdienen weil er alt
und krank ist. Die Ingenieure in Alcalá haben es mir ausgerechnet, aber die
Summe hätte unser Budget gesprengt.
Ein anderes Mal wollten wir ein „Gesund-Kochen“-Projekt,
auch oben im Mulacancha, in die Gänge bringen. Die beiden Tage die ich dort
arbeite gibt es nämlich nur den mit Mehl gestreckten Milchreis und mein Kollege
Simon und ich hätten da schon ein paar Ideen gehabt wie wir einfache aber
nahrhaftere Gerichte hätten zubereiten können. Unser Hostel-Don war jedoch
nicht so begeistert: er sagte, dass die Kinder oben die anderen Tage gutes
Essen bekommen (Reis, Linsen und Kartoffeln), weil immer abwechselnd Mütter
kommen die für die ganze Schule kochen. Und da ihr Essen genauso gut sei, wie
in der Grundschule im Mitteldorf, sei es völlig ausreichend.
Also werden wir uns ab und an zu besonderen Anlässen etwas
einfallen lassen. Für meinen Geburtstag Mitte November werden wir ein paar
Hühner mit hoch nehmen und sie wieder im Lehmofen zubereiten.
IMPRESSIONEN
Auf dem Weg zum Stadtfest im Nebendorf El Villar:
Bilder aus Tarija:
Weltuntergangsbild:
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